Der Viadukt
Viele Standorte in Traunstein und im nähern Umfeld geben den Blick frei auf den mächtigen Viadukt, die Eisenbahnbrücke über die Traun. Imposant überspannt sie mit ihren vier Pfeilern, zwei Widerlagern und den fünf halbkreisförmigen Gewölbebogen das Trauntal. Sie ist 105 Meter lang und rund 25 Meter hoch.
Seit etwa 1854 plante man den Bau einer Eisenbaulinie von München bis Salzburg. Im Januar 1858 konnte im Bereich der königlichen Eisenbahnsektion Traunstein mit dem Bau begonnen werden. Die Eisenbahnbrücke wurde „auf trockenem Boden“, etwa 100 Meter östlich des damaligen Flussbettes der Traun, gebaut. Später leitete man den Fluss so um, dass er unter der neuen Brücke durchfloss. Dieser Kunstgriff war außergewöhnliche und klug, denn dadurch ersparte man sich eine Menge von Problemen, die ansonsten bei Wasserbauten auftraten. Die Arbeiten gestalteten sich dennoch schwierig, und es gab eine Reihe von tragischen Unfällen mit insgesamt zehn Toten und vielen Verletzten. Eine große technische Herausforderung war die Herstellung der vier Fundamente für die Brückenpfeiler, von denen zwei Wasser- und zwei Trockenpfeiler sind. Hier mussten insgesamt 420 Holzpfähle bis in eine Tiefe von fünf Meter bei den Wasser- und vier Meter bei den Trockenpfeilern eingerammt werden. Dies erfolgte mit Muskelkraft, denn damals gab es nur einfache Einschlaghilfen auf Flaschenzugbasis.
Die Brücke selbst ist ein Bruchsteinmauerwerk aus Nagelfluh, ein grobes Kalkkonglomerat aus der tertiären Molasse. Die vier Pfeiler sind massiv aus Nagelfluhquadern erbaut. Die sichtbaren Flächen der Widerlager mit Nagelfluhplatten verkleidet und die fünf halbkreisförmigen Gewölbebögen bestehen aus etwa einem Meter starken Nagelfluhquadern. Die Hohlräume der Gewölbebögen enthalten Schlackenbeton. Daneben fand Grauwacke, ein Naturbaustein mit einer wesentlich höheren Belastungsgrenze als Nagelfluh, Verwendung. Insgesamt sind rund 9500 Kubikmeter Nagelfluhmaterial verbaut worden. Bedenkt man, dass ein Kubikmeter rund 2600 kg wiegt, hat man eine vage Vorstellung davon, welche Kräfte auf die Pfeilerfundamente und auf die Widerlager einwirken. Die Brückendecke, also der Fahrbereich, ist acht Meter breit. Deshalb konnte der ursprünglich als einspurig angelegte Schienenstrang später problemlos auf die zweigleisige Ausführung erweitert werden.
Am 23. Juli 1859 wurde in feierlicher Weise der Schlussstein eingesetzt. Die gesamte Brücke war mit Kränzen, Laubwerk und vielen weißblauen Fahnen geschmückt. Die festliche Einweihung der Bahnstrecke war am Sonntag, 12. August 1860. Ungezählte Züge rollten seither über den Viadukt, und es bleibt zu hoffen, dass ihnen noch zahlreiche weitere folgen werden. Denn dass auch ein solch imposantes Bauwerk nicht für die Ewigkeit errichtet wurde, zeigt der zweite Weltkrieg. Bei den Luftangriffen der Alliierten auf Traunstein verfehlten einige Bomben die Brücke nur haarscharf, und wenige Tage später hatte sie eine Pioniereinheit der Wehrmacht schon zur Sprengung vorbereitet. Einige mutige Bürger Traunsteins konnten dies unter Einsatz ihres Lebens gerade noch verhindern, kurz bevor die Amerikaner die Stadt ohne Widerstand besetzten. Ansonsten wäre Traunstein heute um ein Wahrzeichen ärmer.
Literatur: ALFRED STALLER, Der Viadukt – Wahrzeichen der Stadt Traunstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für den Chiemgau zu Traunstein 8/1996, S. 7–15.